Samstag, 5. April 2014

Versuche (dritter Teil einer Kurzgeschichte)

„Haben Sie denn eine Annonce aufgegeben“, fragte Helga Hornung.
Sarah schloss die Augen und schüttelte den Kopf, wie sie ihn geschüttelt hatte, als sie sich über seine Naivität ärgerte, das wäre was für die Dauer gewesen.
„Nein, ich kenne ihn und ich weiß, wo ich ihn finde.“
„Warum rufen Sie ihn dann nicht einfach an?“
„Nein, das geht nicht. Ich möchte etwas essen. Kommen Sie mit in den Speisewagen?“
Der Mann mit dem Riesenschnauzer faltete die Zeitung zusammen und schmollte in seiner Ecke.
Sarah hätte lieber Absinth getrunken, gab sich aber mit Cognac zufrieden und lächelte froh, als sie Frau Hornung zuprostete und sich in dem Film On the Way to Your Body wiederfand, wo sie in einer Szene dem Barkeeper ihre Seele entrümpelte. Eine verbrauchte Szene, aber immer wieder gern gesehen, wie der ganze Film.
„Ich habe den Mann seit 12 Jahren nicht gesehen“, sagte sie. „Wie meine Karriere verlief, weiß jeder Leser von Klatschspalten. Bei mir ging es runter, bei ihm rauf. Ihn deshalb wiedersehen zu wollen, das wäre erbärmlich. Kurz und gut. Er liebte mich, ich ging, verliebt in meine Fantasie aus grandiosen Bildern. Ausgelacht habe ich ihn, als er mit dem Ring kam.“
„Der Ihnen vom Finger gerutscht ist?“
„Ja, sehen Sie.“
„Was ist das?“
„Deswegen habe ich ihn ausgelacht.“
„Das ist aber schön, eine Rose!“, rief Helga Hornung.
„Ja, kitschig, nicht wahr?“
„Nein, schön!“
„Ist auch egal“, sagte Sarah Maler. „Jedenfalls hatte ich in den zwölf Jahren meinen Anteil am Glück, an Enttäuschungen. Den ganzen Liebeskladderadatsch eben x-mal. Jetzt bin ich mir nicht mehr sicher, ob er es nicht gewesen wäre.“
„Nach 12 Jahren?“, fragte Helga Hornung.
„Ich weiß, es ist unwahrscheinlich, aber ich möchte mit ihm sprechen. Besser versuchen und scheitern, als es erst gar nicht versucht zu haben. Sollte sich alles als ein Flop erweisen, kann ich mir was Neues ausdenken.“
„Sie sind mutig.“
„Nein, ohne Illusionen.“
„Wer ist es denn?“
„Sören Grosmann.“
„Das Ekel? Oh, Entschuldigung, ist mir so rausgerutscht, ein unangenehmer Zeitgenosse.“
„Er ist anders“, sagte Sarah.
„Wo werden Sie ihn treffen?“
„Nach seiner Sendung. Eine Überraschung, ich kenne noch ein paar Leute bei der ARD. Nach der Sendung werde ich ihn überraschen. Ist schon alles vorbereitet.“
Eine kalte, kribblige Leere ersetzte seine Knochen und Organe, als ob der ganze Körper im nächsten Moment niesen wollte und seine Eingeweide dabei rausgeschleudert würden, so fühlte Sören Grosmann sich. Zum x-ten Male stellte er sich vor, wie er seinen Tod arrangierte. Jedes Detail war durchdacht, als hinge sein Leben davon ab. Er würde seinen Gast bitten, das Studio zu verlassen, weil er in eigener Sache etwas Wichtiges zu sagen habe. Mitarbeiter und Zuschauer wären gleichermaßen erstaunt. Alles musste schnell über die Bühne gehen, denn Scheußlichkeiten vor laufender Kamera wurden sofort ausgeblendet. Sein Kopf würde zerplatzen wie ein Kürbis. Eine Schande nur, dass er nicht mehr lesen konnte, welche törichten Spekulationen über den Grund seines Todes kursieren würden. Las dann aber in vorwegnehmender Klarsichtigkeit die affige Formulierung eines Journalisten, der etwas ahnte in seiner Ahnungslosigkeit: Mehr Menschen sterben an gebrochenem Herzen als am Herzinfarkt. Sören lauschte den Worten hinterher. Das könnten seine Abschiedsworte sein, die er in die Kamera sprechen würde. Etwas variiert vielleicht, nicht ganz so unverhüllt: Mehr Menschen sterben an kitschigen Rosen in Ringen als an …
„Hallo da oben! Merkst du noch was? Ich ertrage die Leere nicht länger!“ Sören Grosmann antwortete seinem Magen mit einem aufgescheuchten Lächeln und trat in den Gang. Auf dem Weg zum Speisewagen, machte er jedoch noch einen Zwischenstopp, ging in die Toilette um sich die Hände zu waschen.
Er blieb am Eingang des Speisewagens stehen und suchte einen freien Platz. Eine ältere Dame, das Gesicht wie aus Teig geknetet, hielt etwas Funkelndes zwischen Daumen und Zeigefinger. Der Funke verlosch auf der Handfläche einer Frau, von der Sören nur den Hinterkopf sehen konnte.
Die letzte Lektion
Der Mörder wartet nicht, bis ein Lehrer aufzeigt. Im Nu sind einige Lehrer in die ewigen Ferien verabschiedet worden. Warum gerade Lehrer? Stimmt, Bankmanager hätten es auch getan, aber es sind halt Lehrer geworden.
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