Montag, 17. März 2014

Anfang der Geschichte „Brüder im Glück“



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Anfang der Geschichte „Brüder im Glück“
Ein himmelblauer Käfer rollt in den Hof, stoppt und röchelt heftig nachzitternd seinen Leben aus. An einer Hauswand lehnt das Skelett eines Fahrrads, darüber der Schriftzug: „Wählt…“ (unleserlich). Daneben ein Hakenkreuz, die Haken zur falschen Seite. Unter einer Dachrinne steht eine blaue Tonne, daneben hockt eine plumpe Amphore oder Urne, Moos auf der Regenseite. Ein Holunderstrauch duckt sich in eine Ecke; darunter liegt ein zusammengerolltes Seil, in dem ein schartiges Messer steckt. Unter dem Strauch steht eine weitere blaue Tonne. Wir befinden uns in einem durchschnittlich schäbigen Hinterhof, wo jahrelang nichts Besonderes passiert ist, bis jetzt, da Holger und Kevin auf ihren zierlichen Balkon treten, während Orhan Hikmet, der neue Mieter, einen Karton mit CDs aus seinem Käfer zerrt. Und schon ist Orhan auf federnden Beinen wieder beim Auto und hievt einen Monitor aus dem Wagen.
„Ein Türke“, sagte Holger. „Ein Türke“, sagte Kevin. „Mac, 21 Zoll“, sagte Holger, „das sehe ich.“ Klirren klimperte in den Hof hinunter. Orhan blickte hoch. Die Flaschenhälse verschwanden tief in den Schlünden der robusten Brüder.
Orhan Hikmet torkelte mit dem Monitor vorwärts, als hätten sie ihm heftig auf die Schulter geschlagen und verschwand in der Schwärze des Hauseingangs.
Von nebenan hörten die Brüder Polter- und Schleifgeräusche. Holger, der ältere, arbeitete als Möbelpacker, hatte ein rötliches Gesicht und einen schrankartigen Oberkörper auf lächerlichen Beinchen.
Sein Bruder Kevin war momentan arbeitslos (all die Ausländer), aber keineswegs entmutigt. So blieb ihm viel Zeit seinen Körper zu ertüchtigen, den er einsetzen würde wie Rambo, wenn es in Deutschland zum finalen Aufräumen kam. Dann gab es wieder ehrliche Arbeit für ehrliche Deutsche. Und Bier, Bier für alle.
Noch während sie das Hakenkreuz an die Wand gemalt hatten, hatte Kevin ein komisches Gefühl, als er zurücktrat und ihr Werk bewunderte. „Das gefällt mir nicht“, sagte er zu seinem Bruder. „Ist doch saustark“, sagte Holger. Zwei Wochen später hatte Kevin den Grund gefunden für sein seltsames Gefühl. Aber bringen wir seine Beschreibung hinter uns. Wühlende Akne hatte Narben in seinem Gesicht hinterlassen, auf der Oberlippe trug er ein scharfgestutztes Bärtchen. Dies wussten Kevin und Holger genau: Ohne Ausländer wäre Deutschland das Paradies. Prost!
Wenn sein Bruder arbeitete, stemmte Kevin Hanteln, presste mit seinen Beinen tonnenschweres Eisen oder blähte seine Brust auf an der Butterflymaschine. Leider gab es jetzt diese Störung im Fließen des brüderlichen Lebens. In dem Augenblick, wo der Wagen in den Hof gefahren war, hatte Orhan Hikmet bei den Brüdern eine Mischung aus Neugier und Irritation ausgelöst.
Wie andere Menschen auch trug Orhan Hikmet seine Nase mitten im Gesicht, doch ihre unfehlbare Intuition flüsterte den Brüdern ein, dass sie es hier mit jemandem zu tun hatten, der anders war, anders als andere Leute. Seine Augen waren so dunkel wie seine Haare und irgendwie unstet schienen die Augen immerzu auf der Suche zu sein. Ein ungemütlicher Patron, der leichtfüßig daher trippelte und „wie eine Ratte so schnell in seine Wohnhöhle huscht“, meinte Kevin. „Das lächerlich weiße Strickmützchen auf seinem Schädel, damit will er uns doch verarschen“, sagte Holger. Weil Orhan Hikmet zu den unmöglichsten Zeiten ausging und wieder heimkam, alles völlig unvorhersehbar, meinten sie etwas tun zu müssen.
An einem der ersten Tage nach dem Einzug hatte Kevin ihn auf einer Parkbank gesehen mit dieser Zeitung. „Wie heißt sie noch? Steckt immer ein kluger Kopf dahinter. Damit werben sie für die Zeitung. Holger, ich sag dir eins, der will provozieren, der braucht mal was auf die Mütze.“
Sie bemerkten weitere abnorme Verhaltensweisen. Praktisch die ganze Nacht hindurch brannte Licht in seiner Wohnung. Und ungesellig war er. Ein Türke, aber ungesellig. Wenn das nicht verdächtig war, höchst verdächtig!
„Er will uns ärgern“, sagte Holger. „Sage ich doch“, sagte Kevin. „Er soll in der Türkei wieder Hühner hüten.“ „Wir sollten ihn uns mal genauer ansehen“, sagte Holger.
„Wer ist da?“, fragte Orhan Hikmet durch die Tür. „Nachbarn, nur die Nachbarn“, antworteten Kevin und Holger.
Die Nachbarn drängten herein und schauten sich neugierig um. Ein Teller mit einem verschrumpelten Pizzakeil stand auf dem Tisch neben einem Haufen von Büchern, von denen eines aufgeschlagen war und ein Flugzeug zeigte oder einen ganzen Flughafen oder so.
„Wir sollten uns kennenlernen“, brummten die Brüder. „Die Leute leben Tür an Tür und kennen sich nicht. Wenn erst die Maden in deiner stinkenden Leiche wimmeln, ist es zu spät“. Holger lachte. Für den enormen Hohlraum in seiner Brust war sein Lachen überraschend hochtönend. Orhan Hikmets Schreibtisch teilten sich Mac, Maus und Tastatur. Sonst nichts, keine Glasringe, kein Staub, keine Wasserpfeife, sehr verdächtig eben.
„Ich bin erfreut“, sagte Orhan Hikmet. Er setzte sich auf die Stuhlkante und wippte mit den Beinen.
„Hast du gepennt?“, fragte Kevin mit beunruhigender Freundlichkeit. „Wir kommen doch nicht ungelegen?“

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