Montag, 24. März 2014

Anfang der Geschichte „Zigarettengeld“




aus: Nacktes Entsetzen (9 Geschichten)
neobooks: http://goo.gl/UeYZyR
Amazon: http://goo.gl/MVLmWS
auch bei allen anderen Anbietern von epub-E-Books
(Thalia, Weltbild, Kobo, Apple, buch.de, ebook.de, bol.de, etc.)
Ich sollte mit dem Rauchen aufhören. Ich weiß, dass ich es sollte. Auch wenn ich die pädagogisch wertvollen Nachrichten übers Rauchen nicht mehr lese, ist gut möglich, dass es böse enden wird. Ich meine, das tut es sowieso, aber… Ach was!
Schließlich, wer wollte die erfreulichen Wirkungen leugnen? Gerade heute hat es doch etwas äußerst Soziales bekommen. Ja, Rauchen fördert den Gemeinschaftsgeist.. Damit meine ich nicht die Zigarette danach. Nein, Rauchen war schon immer sozial, eine Vollzeitbeschäftigung auf Partys und beim Bechern in der Kneipe. Mit einem Wort, es war schon immer etwas für freie Geister und Hedonisten. Mal ehrlich, ohne Zigaretten wäre das Leben doch ein Irrtum, oder?
Es hat heute allerdings eine ganz neue Dimension bekommen, das Rauchen. Ich spreche von all den Rauchern, die sich in Eingängen treffen, draußen vor den Unis, Fabriken und Bürogebäuden. Seit wir aus dem Innern verbannt wurden, sind die Orte begehrt wie ein Platz in Bayreuth beim ollen Wagner. Hier wie dort geschlossene Gesellschaft, wir eben draußen.
Nun, diejenigen von uns, die nicht nachgeben, die Widerstand leisten, die weitermachen, sind in diesen tristen Zeiten eben dazu verdammt, sich zusammenzurotten. Wer gemeinsam in Wind und Wetter Kringel bläst, hält auch sonst zusammen. Einzelne Beschwerden werden ja nicht ernst genommen, aber zusammen könnten unsere Klagen in einer toleranteren Zukunft vielleicht… Ich meine, wenn der Zeitgeist wenigsten irgendwie gerecht wäre. Fette Menschen werden schließlich auch nicht zum Essen in den Regen geschickt. Und Idioten werden nicht genötigt, ihren Schwachsinn im Freien zu machen. Ja, nicht einmal Stinker werden an die frische Luft gesetzt, damit sie ihre Achseln lüften.
Aber wir in den Eingängen sind gesellig, nicht die da drinnen, das sind Miesepeter und Griesgrame. Ich kenne Leute, die deswegen so tun, als wären sie Raucher. Nicht, dass ich meine, einen direkten Zugang zur Wahrheit zu haben, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Beobachtungen richtig sind.
So, jetzt aber das Entscheidende. Wir Raucher sehen Dinge, die früher einfach nicht gesehen wurden. Wir können gar nicht anders, als zu sehen, was nicht bemerkt wurde, weil keiner draußen war. Ich bin kein Philosoph, auch Manni nicht, nur Kettenraucher, aber manchmal nach zehn oder so kontemplativen Zügen sagt er Sachen wie: „Wir erschaffen eine ganz neue Wirklichkeit.“ Mein lieber Manni. Dann schweigt er wieder für die nächsten zehn oder zwanzig Zigaretten. So was gehört in Marmor gemeißelt: „Wir erschaffen eine ganz neue Wirklichkeit.“
Wir fertigen Lederwaren bei der Firma Lafette, eigentlich nur noch Handtaschen. Früher produzierten wir alles Mögliche, aber bei den wirtschaftlichen Aufs und Abs müsse man auf den Markt reagieren, sagt Albert unser Chef und so spezialisierten wir uns auf Handtaschen. Keine ausgebeulten Beutel für Hausfrauen, die darin ihren Krempel spazieren tragen. Uns findet man im obersten Marktsegment, ganz, ganz oben. Wir machen Accessoires für die Berühmten und Beklatschten, manche sind so vornehm, dass ich noch nie von ihnen gehört habe. Unsere Taschen sind handgemacht, edelste Materialien. Ein Drittel unseres Ausstoßes besteht aus individuellen Aufträgen. Der Rest ist Serienfertigung, aber natürlich Topqualität für erste Adressen an der Fifth Avenue oder der Westernstraße in Paderborn. Achtunddreißig sind wir in der Produktion. Nur Frauen.
Edith erzählte, früher habe der Chef nur in der Produktionshalle das Rauchen nicht erlaubt wegen des leicht entzündlichen Zeugs — Samt und Seide. Aber in der Kantine habe man qualmen können. Doch das war vor dem Umzug der Firma; hier draußen haben wir ja keine Kantine mehr. Wenn du dir nichts mitgebracht hast, kannst du dir was von einer Frittenbude holen, es sei denn, du bevorzugst Genießbares und fährst in die Stadt. Manni schüttelt sich jedes Mal wie ein Hund, der gerade aus einem Tümpel kommt, wenn einer von uns mit einer Bratwurst auftaucht. Er nennt die Dinger nur „emulgierte Hochfett-Innereien-Rollen“. Damit er die fettige Innereien-Rolle nicht auch noch riechen muss, zündet er sich die nächste Zigarette an. Übrigens nur eine von uns achtunddreißig in der Produktion macht die Fahrt in die Stadt regelmäßig.
Lafette ist Alberts Leib und Seele. Wir respektieren ihn für sein Engagement. Macht ihn jedoch nicht sympathischer. Aber immerhin, die Firma existiert wenigstens noch, auch wenn es mal sechsundneunzig und nicht achtunddreißig waren. Edith war Raucherin wie ich und musste sich ein halbes Dutzend Mal kasteien, bis es dann doch klappte. Damals gab es viel mehr Raucher, jetzt sind es nur noch drei unter den achtunddreißig und natürlich Friedhelm. Aber wir drei treffen uns mit den Gärtnern von gegenüber und denen vom Möbellager, den Teppichleuten und den, mh, machen was mit Computern. Alle Raucher in diesem Teil des Technologieparks stehen zusammen und rauchen. Wie schon gesagt, ist geselliger als je zuvor. Wir haben eine Menge Spaß.
Ganz anders ist es drinnen, ist dort ungeselliger als je zuvor. Albert war nie ein lockerer Typ, aber jetzt ist er komplett meschugge. Er hat nämlich bemerkt, dass jemand stibitzt. Taschen aus der Serienfertigung verschwinden. Die ersten Taschen sind abhandengekommen, als er im Juni im Urlaub war. Ist jetzt dreieinhalb Monate her. Nicht viele Taschen, es gibt ja keine Massenproduktion. Aber immerhin so viele, dass er es bemerkt hat. Deswegen gibt es keine erhebliche Delle im Profit, wohl aber eine Beule in Alberts Stimmung. Er macht Randale, schon die ganze Woche.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen